Chefs umgeben sich am liebsten mit ihren Spiegelbildern
Kennen Sie Thomas? Er ist Mitte Fünfzig, stammt aus Freiburg, hat Betriebswirtschaftslehre studiert und sitzt in der Chefetage eines namhaften Automobilherstellers. Die Führung teilt er sich mit einem halben Dutzend weiterer Kollegen, alle mehr oder weniger aus dem gleichen Holz geschnitzt: alles Männer, die meisten Wirtschaftswissenschaftler oder Ingenieure, in den frühen 60er Jahren in Westdeutschland geboren. Sie tragen Namen wie Stefan, Andreas, Michael oder Thomas. Kein seltenes Phänomen in den Vorständen deutscher Unternehmen – der Thomas-Kreislauf hat sich dort seit Jahren eingenistet.
Was ist der Thomas-Kreislauf?
Der Thomas-Kreislauf zeigt auf, nach welchem Muster Unternehmen ihre Vorstandsmitglieder rekrutieren – und lässt sich in vielen Fällen auch auf darunter liegende Führungsebenen übertragen: Der deutsche Chef umgibt sich am liebsten mit Spiegelbildern seiner selbst. Das heißt konkret: Alter, Herkunft und Ausbildungshintergrund sind ähnlich. So kommt es, dass viele CEO-Posten mit Männern Anfang/Mitte 50 besetzt sind, die im einstigen Westdeutschland geboren und Wirtschaftswissenschaftler oder Ingenieur sind.
Klingt weit hergeholt? Ist es nicht. Die deutsch-schwedische AllBright-Stiftung hat 2017 eine Studie über die männlichen Monokulturen in den Vorständen der an der Frankfurter Börse notierten Unternehmen veröffentlicht, die genau das bestätigt. So kommt es seit Jahrzehnten zu einer Reproduktion der gleichen Führungsmannschaften, die wenig innovativ, selbstreflektierend und selbstkorrigierend sind – schließlich ticken ja alle ähnlich.
Frauen? In Vorständen oft Fehlanzeige
Selbst durch die Einführung der Frauenquote hat sich an diesem Rekrutierungsmuster kaum etwas geändert: Die Passfähigkeit ist wichtiger als andere Auswahlkriterien, je höher der zu besetzende Posten ist. So kommt es, dass es in deutschen Vorständen tatsächlich mehr Thomas’ und Michaels (5 %) als Frauen insgesamt gibt. In 110 von 160 Vorständen von deutschen Börsenunternehmen ist keine einzige Frau. Thomas befördert eben am liebsten Thomas.
Und so sitzen sie also zusammen: All die Thomas’, Michaels, Andreas’ und Stefans. Sie führen Unternehmen, aber bringen sie sie auch voran? Braucht es nicht manchmal frischen Wind von außen, um Innovationen in Gang zu setzen? Braucht es nicht auch andere Denkweisen, um Neues zu wagen – selbst wenn die Auseinandersetzung mit Andersdenkenden vielleicht nicht so leicht und bequem ist? Nichts gegen Thomas. Inzwischen ist jedoch erwiesen, dass heterogene Teams profitabler, produktiver und innovationsfähiger arbeiten. Einige wenige börsennotierte Unternehmen haben das erkannt und mehr Vielfalt im Vorstand etabliert. Denn manchmal lohnt es sich, aus gewohnten Kreisläufen auszubrechen.
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