Als Führungskraft gute Beziehungen aufbauen und stärken
Und plötzlich steht die Mitarbeiterin tränenaufgelöst vor ihrem Chef. Der scheint völlig überfordert. “Was soll dieser Gefühlsausbruch gerade?”, fragt er sich und weiß nicht, mit der Situation umzugehen. “Emotionen haben im Business nichts verloren”, denkt er – und liegt damit völlig daneben. Mit dem Change Management sind nämlich auch Emotionen in Unternehmen eingezogen. Führungskräfte werden mehr und mehr zu Coaches, sie treiben die Teamentwicklung voran, beobachten, etablieren eine Feedbackkultur. Das alles setzt Feingefühl voraus und somit emotionale Führungsqualitäten.
Sich als Mensch und nicht als Personalnummer fühlen
Die Macht der Emotionen wird bei der Arbeit häufig unterschätzt. Wenn Mitarbeiter ein Problem miteinander haben, aber im Team arbeiten müssen, oder wenn ein Kollege enorme Schwierigkeiten im Privatleben hat, dann fällt es schwer, 100 Prozent bei der Arbeit zu geben. Mit nachlassender Arbeitsleistung und sinkender Produktivität steigt der wirtschaftliche Schaden in jedem Unternehmen. Der klassische autoritäre Führungsstil, der Generationen um Generationen in den Chefetagen vorherrschte und Macht und Stärke demonstrierte, kann diesen Schaden nicht abwenden. Emotionale Führung dagegen schon.
Doch was hat es mit emotionaler Führung auf sich? Der Begriff wurde von dem US-amerikanischen Psychologen Daniel Goleman geprägt, der auch den Begriff emotionale Intelligenz (EI) ins Lebens gerufen hat, und bedeutet so viel wie: sich je nach Mitarbeiter und Situation angemessen verhalten und auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter eingehen. Laut Goleman und Kollegen etablieren Chefs, die emotional führen, ein Arbeitsklima, in dem sich die Mitarbeiter verstanden und als Mensch behandelt fühlen. Emotionale Führung setzt demnach emotionale Intelligenz und Führungskompetenz voraus, aber noch einen weiteren Punkt: Selbstreflexion. Wer sein Team emotional führen möchte, muss sich seiner eigenen Gefühle bewusst sein, diese verstehen, einordnen und kontrollieren können.
Coach, Motivator und Team-Player
Wer glaubt, dass mit emotionaler Führung ein Chef gemeint ist, der alles in Watte packt, immer nett ist und Probleme unter den Teppich kehrt, liegt daneben. Wer emotionale Führungsqualitäten mitbringt, ist freundlich, aber auch kritisch: konstruktiv kritisch. Er klagt nicht an, sucht keinen Schuldigen, sondern Gründe und Lösungen. Ihm liegt viel an Harmonie innerhalb der Belegschaft, er ergreift Maßnahmen, um das Wir-Gefühl zu stärken und ist Ansprechpartner für seine Mitarbeiter – selbst dann, wenn es um Probleme geht.
Führungskräfte begegnen im Alltag unzähligen Situationen, die Feingefühl erfordern. Gerade in den vergangenen Monaten, in denen Corona vielen zusätzlich privat einiges abverlangt hat, Home-Office-Arbeitsplätze eingerichtet werden mussten, die Betreuung der Kinder nebenher gestemmt wurde, das Einkommen durch Kurzarbeit bei gleichbleibenden Lebenshaltungskosten geringer wurde, konnten die Chefs punkten, die den Mitarbeitern auf emotionaler Ebene begegneten.
Wer sein Team emotional führt, führt in der Regel auch erfolgreich. Es liegt auf der Hand: Wenn sich ein Mitarbeiter verstanden und ernstgenommen fühlt, wenn das Verhältnis zum Vorgesetzten gut ist, er motiviert und bestärkt wird, dann stärkt das die Loyalität. Der Mitarbeiter arbeitet produktiver und zielorientierter.
Selbst- und Fremdbild gehen weit auseinander
Sozialkompetenz ist bei den Führungskräften von heute gefragter denn je. Moderne Führung wird zunehmend von der fachlichen auf die Beziehungsebene verlagert. Was bedeutet das? Der Chef muss wissen, wie jeder seiner Mitarbeiter tickt. Er sollte eine positive Gesprächsführung beherrschen, in der Lage sein konstruktives Feedback zu geben und ein Händchen für Konfliktmanagement mitbringen.
“Aber das beherrsche ich doch alles!”, glaubt die Mehrheit der Führungskräfte. Selbst- und Fremdbild gehen hier weit auseinander. Ein Blick auf den jährlich erscheinenden Gallup Engagement Index zeigt, dass ein Großteil der Mitarbeiter (85%) wenig bis keine emotionale Bindung zu ihrem Arbeitgeber haben. Als Hauptgrund werden die Führungskräfte angeführt. Rund 8 von 10 Angestellten sprechen ihrem Chef gute Führungsqualitäten haben. Das steht im starken Gegensatz zum Selbstbild der Führungskräfte: 97% der Chefs halten sich der Studie zufolge selbst für einen guten Chef. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Wer sich jedoch auf die Beziehungsebene begibt, seinen Mitarbeitern den Rücken stärkt und mehr Coach als Antreiber ist, der führt nicht nur emotional, sondern auch erfolgreich.